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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 11:02

In Almöhis Heimat wurde nicht nur großer Wert darauf gelegt, den Geist  zu schulen sondern auch den Körper, kurz Leibeserziehung genannt. Der Turnsaal bot ein Aroma, das aus einer Mischung von alten Bergschuhen, nassen Hunden und modrigem Leder zu bestehen schien, inklusive einer leicht säuerlichen Duftnote im Abgang. Selbst dem sonst orientierungslosen Schwachkopf war es unmöglich das Zentrum der Ertüchtigung zu verfehlen, er musste nur der Nase nachgehen. An Gerätschaften begnügte man sich mit einigen Matten, kürzeren rechteckigen und längeren Rollmatten, gefüllt mit Stroh bzw. in der Luxusvariante mit Rosshaar. Der einst vielleicht naturweiße Stoffbezug war an den exponierten Stellen mittelgrau und ging zu den Rändern hin in ein Lichtgrau über, bis schließlich am äußersten Teil fast die ursprüngliche Farbe zu erkennen war. Es benötigte eine große Portion Überredungskunst die aufgerollte Form halbwegs flach auf den Boden zu legen, denn sie rochen nicht nur wie ein Esel, sondern waren ebenso störrisch. Diese Unterlagen stammten, wie vermutlich auch der Lehrplan, aus der Zeit des Turnvater Jahns. Im Härtegrad war kein wesentlicher Unterschied zum normalen Boden erkennbar. Egal aus welcher Höhe ein Schüler aufschlug, Dämpfung durfte keine erwartet werden. Dafür war es trotz härtestem Aufprall unmöglich die Besinnung zu verlieren, der Geruch den die Matten verströmten wirkte wie Riechsalz.

Am Beginn der Stunde stand immer das Stangenklettern auf dem Programm. Dazu musste er einen Pfahl erklimmen, der an Decke und Boden verankert wurde. Dessen Holz war über die Jahre so abgenützt wie der Handlauf eines Stiegengeländers in einem Gründerzeithaus. Dank seiner Affengene beherrschte er diese Übung perfekt, vielleicht war er ja das lang gesuchte Missing Link zwischen Primaten und Menschen. Als Kontrastprogramm wurde gelegentlich Seilklettern angeboten, es unterschied sich aber praktisch kaum. Die einst biegsamen Taue waren durchgeschwitzt und in Kombination mit dem Schmutz unzähliger Hände buchstäblich erstarrt. Die Übungen erinnerten an den bekannten indischen Seiltrick. Wer es sich leisten konnte durfte Turnschuhe tragen, welche mit den heutigen Modellen dieser Gattung nicht viel gemeinsam hatten. Sie ähnelten etwa den heutigen Sneakers, waren damals aber weder modern noch schick. Hergestellt wurden sie von der Firma „Semperit“ (= geht immer). Die Produktion war einfach. In ein Stück Leinen, erhältlich in den Farben „graublau verwaschen“ oder hellolivgrün verwaschen“, wurden einfach ein paar Ösen für die Schuhbänder gestanzt und zum Schluss an der Unterseite die Gummisohle aufvulkanisiert. Die Schuhe erwiesen sich, wie schon der Firmenname sagt als äußerst robust. So lag es nahe, dass diese von einem Geschwisterteil zum anderen vererbt wurden, was dem Raumklima innerhalb des Turnsaales auch nicht sehr geholfen hat. Die Medizinbälle hingegen waren unverkennbar mit echtem Leder überzogen, doch der beinhaltete Schweiß von Generationen, verhalf ihnen zu der Konsistenz von Bowlingkugeln. Eine Übung bestand darin, dass sich zwei Schüler gegenseitig den Ball zuwerfen mussten. Durch seine Statur, besonders hilfreich dabei waren seine langen Armen, konnte er das Hebelgesetz perfekt ausnützen. Sein Gegenüber versuchte noch den Ball zu fangen, doch die morschen Schnürsenkel waren nicht mehr in der Lage die Füße am ursprünglichen Ort zu halten und er kippte einfach aus seinen Semperit-Latschen. Humor bedeutet für jeden Menschen etwas anderes, deshalb lachte die ganze Klasse bis auf zwei Personen. Der noch benommen am Boden liegende Mitschüler und der Lehrer, der sich zur Unterstreichung seiner Missbilligung mit der Hand im Gesicht des Bösewichts verewigte.

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