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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 11:17

Keiner ahnte, dass sich damit die Achse des Bösen drastisch verkürzt hatte und die vor Jahren getrennten Zwillinge sich langsam näher kamen. Noch aber plagten Littleman ganz andere Sorgen. Bei einer Familie mit vier Kindern trat zwangsläufig ein menschlicher Urinstinkt zu Tage, der Selbsterhaltungstrieb und das daraus resultierende Recht des Stärkeren. Jeden Tag um die Mittagszeit verwandelten sie sich in eine Horde Urzeitmenschen, die – obwohl es immer genug zu Essen gab – keulenschwingend um die besten Leckerbissen kämpften. Mit Argusaugen beobachteten sie sich gegenseitig, wer was und wieviel auf den Teller aufhäufte. Nur bei einem Gericht verlief die tägliche Raubtierfütterung harmonischer ab, Marillenknödel. Während die einen nur die Marillen verzehrten, machten sich die Obstverachter über deren Ummantelung her. Eines Tages im Urlaub zeigte dieser ständige Fressneid Wirkung. Littleman war mit 1000 Lire ausgerüstet auf dem Weg zum wöchentlich stattfindenden Markt, als er plötzlich die Lösung für sein Problem entdeckte. Statt wie sonst üblich das Geld für einen der zahlreich vorhandenen Sinnlosartikel hinauszuwerfen, beschloss er es diesmal nutzbringend zu investieren. Angesichts des ersten Fertigproduktes zu Essen drückte er sich an der Scheibe des kleinen Lebensmittelgeschäfts im Ort die Nase platt. Ihm war sofort die epochale Bedeutung dieser Begegnung bewusst, den von heute an würde er, zumindest was das Essen betrifft, zum Selbstversorger aufsteigen. Beflügelt durch das Gefühl mit niemanden das Essen teilen zu müssen, betrat er das Geschäft und griff zielstrebig nach einer 500gr Portion Gnocchi- vakuumverpackt. „Mein Mittagessen“, strahlte er und lief ungeduldig zum Campingplatz zurück. Seine Geschwister betrachteten erst verwundert seinen Kauf, um dann sogleich eine Kostprobe zur verlangen. Littleman war sich seiner Machtposition bewusst, schließlich war er stolzer Besitzer einer italienischen Spezialität. Er lehnte deren Ansinnen mit den Worten „Keiner bekommt etwas, die esse ich ganz alleine auf“ barsch ab. Dann wandte er sich der Anleitung zur Zubereitung zu. Seine Erfahrung bezüglich Portionsmengen für eine Person war äußerst dürftig und der optische Eindruck der unter Luftentzug komprimiert verpackten Kartoffelteigwaren tat ein Übriges. Zumeist werden Gnocchi mit einer Tomatensauce und etwas Parmesan serviert, da er weder das eine noch das andere ausstehen konnte, beschloss er sie einfach mit zerlassener Butter zu verspeisen. Das bereits gesalzene Wasser kochte inzwischen und Littleman gab den Packungsinhalt in den Topf und wurde Zeuge einer wunderbaren Vermehrung. Die eben noch relativ schlanken Gnocchi gewannen unglaublich schnell an Größe und machten schon Anstalten das Behältnis zu verlassen. Auf der zweiten Flamme nahm die Butter eine schöne braune Farbe an und Littleman stellte sie zur Seite. Nach etwa 10 Minuten konnte er die Teigware abseihen und beim Anblick dieses Mount Everests aus Kartoffelteig musste er kurz schlucken. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Die ganze Familie saß bereits am Tisch und beobachtete ihn wie er sich abmühte, den aufgetürmten Berg in einem Stück zu seinem Essplatz zu transportieren. Aus den Augenwinkeln glaubte er zynisches Grinsen seiner Brüder zu erkennen.  Nun saß er vor dem Riesenhaufen und übergoss in mit der Butter und begann mit zu essen. Ein Stück nach dem anderen verschwand in seinem Mund, es lief gut, denn er war sehr hungrig. Nach ca. 5 Minuten waren Littlemans Kaubewegungen mehr als unrhythmisch, er blickte sorgenvoll in einen See aus braunem Fett, in dem die Gnocchi langsam zu ertrinken schienen. Was nun zwischen den Brüdern und ihm folgte, war psychologische Kriegsführung vom Feinsten. „Und, schmeckt’s?“, wortloses Kopfnicken, „noch nicht satt?“, wortloses Kopfschütteln, er hatte Angst die Nockerln könnte ihm aus dem Mund fallen. Littleman konnte aber gar nicht aufhören, diese Blöße wollte er sich nicht geben, vor allem da er wusste, was ihm bei Aufgabe erwarten würde, der weise Spruch „Waren die Augen wieder einmal größer wie der Hunger“. Als er schließlich den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte stand er wortlos auf, spazierte schnurstracks zum vor dem Campingplatz befindlichen Park, um dort, wie er glaubte, in Friede sterben zu können. Er kaute noch, als er sich in der Wiese zur vermeindlich „letzten Ruhe“ niedergelegt hatte. Dort wandelte Littleman den angeblichen Spruch von König Pyrrhus von Epirus nach seinem Sieg über die Römer ab und flüsterte matt, „noch so ein Sieg und ich bin verloren“.

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